Newsletter von Sarah Wagenknecht: Alles Verschwörungstheorien? Über eine schräge Debatte und warum der Steuerzahler wieder der Dumme ist

01. Juni 2020  Allgemein

Nach wochenlangem Gezerre haben sich Bundesregierung und Lufthansa über ein Rettungspaket für die taumelnde Airline geeinigt. Auch wenn noch nicht alles beschlossene Sache ist: Bei den bekannt gewordenen Konditionen bleibt einem die Spucke weg! Neun Milliarden Euro Staatshilften und Bürgschaften soll die Lufthansa erhalten – aus dem Geschäft will sich der Staat aber komplett heraushalten. Offensichtlich geht es bei dieser Rettung eher um der Altaktionäre als um den Erhalt von zehntausenden Jobs und einer essenziellen Infrastruktur. Aber wehe dem, der in diesen Tagen hinter politischen Entscheidungen die Einflussnahme von Lobbyisten oder Interessensverbänden wittert. “Verschwörungstheorie!!” heißt es dann gleich aus vielen Ecken. Dass wir dieser Debatte nicht auf den Leim gehen dürfen und wie wichtig es ist, über die finanzielle Abhängigkeit öffentlicher Institutionen von privaten Geldgebern und die kommerzielle Einflussnahme auf politische Entscheidungen zu reden – darüber spreche ich diese Woche im Video:

Noch einmal zur Lufthansa-Rettung: Obwohl der Konzern an der Börse aktuell nur etwa vier Milliarden Euro wert ist, plant die Bundesregierung den Einsatz von neun Milliarden Euro – und will sich aus Entscheidungen heraushalten. Das ist in etwa so, als würde ich einen Gebrauchtwagen, der höchstens 4000 Euro wert ist, für 9000 Euro kaufen und mich dann auch noch verpflichten, dem vormaligen Besitzer das vorrangige Recht auf Nutzung des Autos einzuräumen. Es wird noch nicht mal die Bedingung tatsächlich durchgesetzt, dass die Lufthansa in Zukunft darauf verzichtet, ihre Gewinne in Steueroasen zu verschieben. Dem Unternehmen wurden auch keinerlei Zusagen im Hinblick auf Beschäftigungssicherung und faire Löhne abverlangt. Die Mitarbeiter der Germanwings oder der für die Bordverpflegung zuständigen LSG müssen also trotz neun Milliarden Steuergeld weiter um ihre Arbeitsplätze bangen. Ebenso wie viele Beschäftigte der Kernmarke, deren Gehaltstarif dem Management schon lange ein Dorn im Auge ist und die jetzt in der Krise erneut unter Druck gesetzt werden. Von wegen: Die Rettungspakete schützen Arbeitsplätze! Gerettet werden vor allem die Altaktionäre der Lufthansa. Unter ihnen der mehrfache Milliardär Heinz Hermann Thiele, dem zehn Prozent der Lufthansa-Aktien gehören und in dessen eigenem Unternehmen Knorr-Bremse rüdes Lohndumping und Tarifflucht an der Tagesordnung sind. Dort wird er sich übrigens im Juni eine Dividende von 200 Millionen Euro ausschütten. Klar, da zahlen wir doch alle gern Steuern, wenn davon so bedürftige Leute wie der Milliardär Thiele und deren Investments gerettet werden… Es läuft leider wieder genauso wie in der letzten Finanzkrise: die Verluste werden beim Steuerzahler abgeladen, die künftigen Gewinne streichen dann wieder Großaktionäre ein.

Warum vertrauen Viele der Wissenschaft nicht mehr?

Das größte Problem ist, dass der Staat zu stark unter dem Einfluss wirtschaftlicher Interessengruppen steht. Das ist mit Demokratie nicht vereinbar. Wir brauchen zum Beispiel mehr unabhängige öffentliche Forschung. Dass viele Menschen Wissenschaftlern nicht mehr trauen, hängt ja auch damit zusammen, dass die Forschung zunehmend von Geldern der Industrie finanziert wird. Angebliche Experten entpuppen sich dann schnell als Lobbyisten. An Unis müssen Professoren immer mehr Drittmittel einwerben. Aber hinter den Drittmitteln stehen kommerzielle Interessen. Selbst Mediziner des Robert-Koch-Instituts sitzen in Beratergremien von Pharma-Konzernen oder lassen sich ihre Projekte von der Pharmabranche bezahlen. Wenn der Staat seine Gelder kürzt, gehen die Privaten rein. Aber das erzeugt Abhängigkeiten. Mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland habe ich über die Corona-Maßnahmen gesprochen, die Proteste und die soziale Schieflage der Rettungspakete:

Die Bundestagsabgeordnete der Linken und ehemalige Fraktionsvorsitzende, Sahra Wagenknecht, hält die Corona-Beschränkungen von Bund und Ländern im Prinzip für richtig. Aber sie kritisiert die wirtschaftlichen Hilfen als unausgewogen. Außerdem meldet Wagenknecht Zweifel an der Unabhängigkeit der Wissenschaft an.

Mit Capital sprach ich außerdem über den Zustand des Kapitalismus, über alternativen Unternehmensformen sowie die Corona-Politik der Bundesregierung, die vergisst, dass denen geholfen werden muss, die es am dringendsten brauchen und nicht denen mit der stärksten Lobby:

„Bisher hat der Kapitalismus all seine Krisen überlebt“ – Capital.de