Haushaltsrede von Lukas Oßwald, Linke Liste Lahr Lahr, den 14.12.2015

15. Dezember 2015  Allgemein

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

liebe Lahrerinnen und Lahrer.

 

Ich bin jetzt so oft gefragt worden – deshalb möchte ich kurz vorrausschicken:

 

Nein, ich war nicht mit in Japan und ich bin nicht Fraktionsvorsitzender. Das wird man erst bei drei Mitgliedern im Stadtrat. Ich habe von der Blütenfahrt erst aus der Presse erfahren. Die Bürgerinnen und Bürger mögen sich Ihr eigenes Bild darüber machen.

 

Bei den vergangenen Haushaltsberatungen im Haupt- und Personalausschuss habe ich mich mit meinem Beitrag kurz gehalten und auf die heutige Rede zur Verabschiedung des Haushaltes verwiesen. Vor diesen Beratungen zum Haushalt am Montagmorgen im HPA ist meines Erachtens weder der richtige Zeitpunkt noch der richtige Ort an dem die Haushaltsrede gehalten werden sollte. Der Haushalt ist noch nicht wirklich fertig und die meisten Lahrer müssen arbeiten und können nicht an der Sitzung teilnehmen. So erreicht man keine Beteiligung am politischen Geschehen.

 

Es ist der Gemeinderat der richtige Ort, an dem sie vorgetragen wird. Er ist die Vollversammlung der Lahrer Volksvertreter. Alle mir bekannten Kommunen halten das so.

Übrigens – auch der Oberbürgermeister hat den Gemeinderat als Ort für seine Haushaltsrede gewählt.

Zu meinem Erstaunen sagte dann Dr. Müller vor den Haushaltsberatungen im Ausschuss, dass für die heutige Sitzung keine Rede zum Haushalt geplant sei. Ich frage, wer hat das denn beschlossen? Und auf welcher Rechtsgrundlage?

Was ist das für ein Demokratieverständnis, wenn man bei der Verabschiedung des Haushalts keine Haushaltsrede der Volksvertreter mehr haben möchte? Hier ist der Ort, wo die Bestandsaufnahme des vergangenen Jahres stattfindet und auch der Blick in die Zukunft dieser Stadt und dieser Gesellschaft erfolgt. Deshalb nutze ich mein Rederecht. Es ist das Recht auf freie Meinungsäußerung hier in diesem Rat. Das ist in unserer Verfassung so verankert. Der Oberbürgermeister hat diese Verfassung vor kurzem, völlig zu Recht, als Grundlage unseres gesellschaftlichen Lebens in Deutschland bezeichnet. Sie gilt für alle gleichermaßen.

 

Nun zum Haushalt. Wir lehnen den Haushalt ab.

 

Es gilt eines festzuhalten:

 

Wir haben mit diesem Haushalt die antizyklische Finanzpolitik endgültig verlassen. Wir haben in finanzpolitischen Boomzeiten die letzten Reste unserer Reserven aufgebraucht.

Darunter fällt auch das Darlehen von 6,8 Mio. Euro an den Eigenbetrieb Abwasser.

Bis zum Jahr 2019 wird es zusätzlich eine Netto-Neuverschuldung von mindestens 25,5 Mio. Euro geben. Zusammen sind das über 32 Mio. zusätzlicher Schulden bis ins Jahr 2019 für die gesamte Stadt.

 

Das heißt im Klartext:

Wir haben unsere Handlungsspielräume, um auf künftige Aufgaben oder auch Krisen reagieren zu können, auf ein Minimum reduziert. Die Abhängigkeit von den Schlüsselzuweisungen wächst enorm. Der kommunale Finanzausgleich wird 2017 neu verhandelt und die Kassen im Ländle sind leer. Die Schuldenbremse, ab 2019 Gesetz, wird auch für Lahr bei den Zuweisung deutlich negativ spürbar werden.

Schon jetzt tut sich eine gewaltige Lücke im Millionenbereich auf zwischen den Finanzierungskosten der LGS und der geplanten Zuführungsrate aus dem Verwaltungshaushalt in den Jahren nach der LGS. Die immensen Abschreibungen müssen gegenfinanziert werden. Die Umstellung auf Doppik lässt da keine Spielräume mehr in der zukünftigen Haushaltsführung.

Es sind auch noch keine Kostensteigerungen bei den großen Bauprojekten bei den Finanzplanungen mit eingerechnet wie zum Beispiel die der Brücke. Die Geschwindigkeit, mit der alles realisiert werden muss, ist extrem hoch.

Das übersteigt die Finanzkraft dieser Stadt gewaltig.

Zusätzliche Brisanz kriegt das Ganze noch durch das Durchpeitschen der Stadtsanierung Kanadaring bis 2018. Das alles muss auch die Verwaltung abarbeiten. Wir schieben zudem einen gewaltigen Berg Haushaltsreste vor uns her.

Man kann nicht über die Personalkosten jammern, wenn man gleichzeitig ein solches Arbeitspensum anhäuft. Wir sind diesmal bei den Genehmigungsbehörden beim Regierungspräsidium noch einmal mit einem blauen Auge davongekommen.

 

Dabei stehen wir alle vor gewaltigen Aufgaben:

 

Die Armut breitet sich aus – auch in Lahr. Vor ein paar Tagen hat die Tafel einen Aufnahmestopp erlassen, weil ihre Kapazitäten nicht mehr ausreichen. Die Durchschnittseinkommen der Lahrer sind vergleichweise niedrig und die Steuerkraft der Stadt ist somit entsprechend gering. Das einseitige Setzen auf Logistik bei der Ansiedlung neuer Firmen verschärft diese Situation noch einmal zusätzlich. Dort werden genau die Löhne bezahlt, die kaum oder gar nicht zum Leben reichen. Immer mehr Menschen sind von Fragen betroffen wie:

Wie bezahle ich am Ende des Monats meine Miete?

Kann ich meine Kinder mit zum Schulausflug schicken?

Kann ich mir vom Bahnhof aus die 2,50 Euro für die Fahrt in die Stadt leisten?

Die Altersarmut steigt und wird bis 2030 mind. 40% der Menschen über 65 Jahre erfasst haben. 43% Rentenniveau ab 2030 bei den vielen niedrigen Einkommen in unserer Stadt – da müssen wir heute schon etwas tun, vor allem auf dem Wohnungsmarkt.

 

Wir brauchen dringend eine Erhebung über leerstehende Wohnungen und eine Bedarfsanalyse gestaffelt nach Bezahlbarkeit für die unteren Einkommen. Wir brauchen endlich verlässliche Zahlen, wie hoch der heutige und zukünftige Bedarf an bezahlbarem Wohnraum ist und in Zukunft sein wird.

Bevor Wohnungen saniert werden, müssen die Bewohner gefragt werden, ob sie überhaupt in der Lage sind, die teureren Mieten zu bezahlen. Viele wollen genau aus diesem Grund keine aufwändigen Sanierungen.

Man will eine Durchmischung der Einkommensschichten im Kanadaring erreichen und gleichzeitig plant die Stadt weitere Reiche-Leute-Viertel in den Hosenmatten und am Altvater. Wo sollen all diejenigen hin, die sich die hohen Mieten nicht mehr leisten können? Man wertet also Wohngebiete nur mit höheren Einkommensschichten auf, die unteren Schichten bleiben jedoch bei einer solchen Politik vielfach auf der Strecke und werden an den Rand gedrängt. So wird das nichts mit der sozialen Stadt. Soziale Durchmischung heißt auch untere Einkommensschichten in den Hosenmatten und am Altvater anzusiedeln. Wir brauchen also dringend bezahlbare Neubauprojekte. Dass das geht, hat zum Beispiel die Baugenossenschaft Familienwohnheim (Schwarzwald Baar/Heuberg) mit den vielfach ausgezeichneten MicroloLOFTs unter Beweis gestellt. Die Neubaumieten liegen dort zwischen 5,50 und 7,50 Euro. Auf diesem Gebiet muss unsere Städtische Wohnungsbau GmbH gewaltig nachlegen. Auch bei den Renovierungsprojekten gibt es Leuchtturmbeispiele wie die MiterInneninitiative Karlsruhe, wo in altgedienten Kasernenhäusern der Nordweststadt bis zu 250 Menschen leben und die Kaltmieten generell unter 5,00 Euro liegen.

Nun hat vergangenes Jahr mit dem, leider nichtöffentlichen, runden Tisch im Frühjahr und dem Workshop ein Impuls in die richtige Richtung stattgefunden. Auch das Gelände der ehemaligen Ölfabrik für sozialen Wohnungsbau in den Ring zu werfen, ist absolut notwendig und richtig. Den Initiatoren sei an dieser Stelle herzlich gedankt. Indes – es fehlt bisher der durchschlagende Wille von ganz oben bei der Stadtverwaltung und der Städtischen Wohnungsbau GmbH.

 

Die Unterversorgung mit Wohnraum für untere Einkommen wird natürlich größer, weil mehr und mehr Menschen Zuflucht bei uns suchen. Die Versäumnisse aus der Vergangenheit beim bezahlbaren Wohnen wirken sich somit immer drastischer aus. Das birgt gewaltigen sozialen Sprengstoff. Man hört immer öfter: Bevor der Ausländer eine Wohnung kriegt bin erst einmal ich als Deutscher dran.

Als ich vergangenen Herbst auf den gewaltigen Anstieg an Flüchtlingen hingewiesen habe, wurde ich in diesem Rat als Hellseher bezeichnet. Ich glaube, man wollte es einfach nicht wahrhaben. Man konnte es vorhersehen, vielleicht nicht in dieser Größenordnung. Und man kann es auch heute vorhersehen, sowohl die zunehmende Armut und auch dass noch mehr Flüchtlinge kommen werden.

Hier liegen die zukünftigen Herausforderungen der Stadt. Zunehmen werden die Leistungen bei der Kinder- und Jugendbetreuung und wir werden auch noch mehr Schulplätze brauchen. Und wir müssen jetzt schon damit anfangen, das finanzpolitisch einzuplanen. Mehr Leistungen sind von Nöten, wie sie die Tafel oder das Cafe Löffel anbietet. Das alles wird Geld kosten. Viel wird im Schul-, Sport- und Freizeitbereich von Ehrenamtlichen geleistet, gerade bei den Kindern und Jugendlichen. Ihre Arbeit wird immer wichtiger. Das könnten wir niemals bezahlen. Deshalb darf bei Einrichtungen wie Sportplätzen nicht am falschen Ende gespart werden. Auch hier mein Dank an alle Engagierten.

 

Zum Schluss noch ein Appell an alle. Es ist wohl kaum einer Stadt in Baden Württemberg wie Lahr vergönnt, dass so viele verschiedene Menschen zukünftig in ihr leben wollen. Ich finde, wir sollten stolz darauf sein. Und wir sollten auch froh darüber sein. Die Vielfalt spiegelt sich in unserer Einwohnerschaft und auch unserem Logo wieder. Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, wir sollten auch keine Angstkultur entwickeln. Denn der Terror entspringt aus den geistigen Monokulturen von Neonazis, Rassisten, Nationalisten und religiösen Fanatikern. Wir haben mit unserer Vielfalt das beste Potential, dem entgegenzutreten. Deshalb sollte das auch im Gemeinderat so sein. Menschen mit Migrationshintergrund und auch arme Menschen suchen wir in den politischen Gremien und unserem Rat oft vergebens. Ich finde, es ist die Aufgabe gerade der politischen Vertreter, hier für mehr Teilhabe und Mitbestimmung aller einzutreten. Ich glaube, auch der Lahrer Politik tut zukünftig ein ordentliches Stück mehr Vielfalt an Meinungen gut. Lassen sie uns gemeinsam daran arbeiten, damit die Menschen mit Ihren vielfältigen und unterschiedlichen Meinungen zusammenkommen und zusammenfinden.

 

Verbunden mit diesem Appell möchte ich allen Danken und wünsche ein schönes Fest und ein gutes 2016.


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